Seelöwen in der Küche
Als Moskau 1933 eine amerikanische Botschaft bekam, gab es bereits eine umfangreiche Kolonie amerikanischer Journalisten, Techniker, Ingenieure, Studenten und Weltenbummler dort. In jenen Tagen war die Stadt noch reich an Attraktionen. Sie hatte ausgezeichnete Theater, Opernhäuser und Balletts und sogar Nachtklubs von höchst eigentümlichem moskowitischem Reiz. Karten für das Moskauer Theater — eines der besten seiner Art in der Welt — oder für das Ballett — das einzige seiner Art in der Welt — waren leicht zu bekommen,- und ein superbes Dinner im Metropol oder dem Medvedj-Restaurant war spottbillig. Doch es gab für die Amerikaner noch keinen zentralen Treffpunkt, wie es die Botschaften für die anderen Ausländer waren.
Als das Weihnachtsfest 1934 heranrückte, beauftragte mich Botschafter Bullitt, ein Fest für die amerikanische Kolonie zu organisieren.
»Und sorgen Sie für was Anständiges«, schärfte er mir ein, »die Ärmsten haben lange genug keine richtige Festivität gehabt.«
Dummerweise wurde er noch vor den Feiertagen zu einer Besprechung mit dem Präsidenten nach Washington zurückgerufen. John Wiley, der Botschaftsrat, sollte an seiner Stelle den Gastgeber spielen.
Ich begann.
Trotz all seiner Theater und Balletts und Opern ist Moskau nicht gerade ein großartiger Mittelpunkt gesellschaftlicher Ereignisse. Irgendwie hat die staatliche Planungskommission die heitere Seite des sozialen Fortschritts übersehen. Zwar gab es eine Handvoll Jazzkapellen, doch waren sie von den Hotels fest engagiert und kamen höchst ungern in die Botschaften. Feinkostfirmen, die große Dinners fix und fertig frei Haus lieferten, gab es überhaupt nicht. Es gab auch weit und breit keine Theateragenturen, bei denen man eine hübsche Gesangs- oder Tanzeinlage bestellen konnte. Nach und nach freilich kamen wir dahinter, wie man mit einiger Findigkeit auch diese Lücken im sozialistischen System füllen kann. Bei meinem ersten Versuch aber lernte ich von der Pike auf.
Ich wandte mich an Irina Wiley, die Gattin des Botschaftsrats, und breitete das Problem vor ihr aus.
»Sollen wir nicht in den großen Ballsaal einen Glasfußboden montieren und auf einem riesigen Aquarium tanzen?« meinte sie begeistert.
Der Vorschlag zeugte von bemerkenswerter Phantasie; doch mir fiel ein, daß die Fabrikation von Spiegel- und Plattenglas weder beim ersten noch beim zweiten Fünf jahresplan berücksichtigt worden war. Außerdem: Was sollten wir als Fischersatz hineintun?
»Vielleicht haben Sie recht«, gab Irina zu und fuhr fort: »Wie wär’s mit einem Dressurakt? Irgendwelche wilden Tiere? Kommen Sie, fahren wir schnell zum Zoo und schauen mal nach, was sie da anzubieten haben.«
Das hörte sich schon besser an. Gemeinsam besuchten wir den Zoodirektor. Er war ein nervöser kleiner Mann, dem es bei einer Unterhaltung mit Ausländern fraglos nicht wohl in seiner Haut war. Normalerweise sollte man annehmen, daß die Verwaltung eines Zoos selbst in der Sowjetunion eine ziemlich sichere, unpolitische Beschäftigung sei; doch erinnerte ich mich bei diesem Besuch daran, daß einer meiner wenigen russischen Freunde während der Revolution Zoodirektor gewesen und herausgeschmissen worden war, weil er den einzigen Elefanten, der den Sturz des Zaren überdauerte, hatte sterben lassen. (Während der Säuberungsaktionen wurde er dann wegen nicht weiter spezifizierter Verbrechen erschossen.) Vielleicht waren dem augenblicklichen Direktor ebenfalls ein paar Elefanten erkrankt. Vielleicht widerstrebte es ihm aber auch nur, sich an einer so kochendheißen, eminent politischen Angelegenheit wie einem ausländischen Weihnachtsfest die Finger zu verbrennen. Jedenfalls war er nicht begeistert und half uns wenig.
Vom Zoo aus fuhren wir zum Durowschen Tiermuseum. Die Durows waren lange vor der Revolution eine in ganz Europa berühmte Dompteurfamilie gewesen. Zu ihren Ehren hatte die Sowjetregierung eine ständige Schau lebender und toter Tiere eingerichtet. An eines der Ausstellungsstücke erinnere ich mich besonders lebhaft. Bei meinem ersten Museumsbesuch begleitete mich die Tochter eines skandinavischen Diplomaten.
Der Wärter wies auf einen friedlich auf seiner Stange hockenden grellbunten Kakadu.
»Sie werden bemerken, daß der Vogel, obwohl er nicht angekettet ist, nicht versucht, von seiner Stange herunterzufliegen«, sagte er. »Das kommt daher, daß er zwanzig Jahre lang angekettet war und nun, nachdem die Kette weggenommen wurde, vergessen hat, daß er die Stange überhaupt verlassen kann.«
»Verteufelt feine Schaunummer für ein sowjetisches Publikum«, murmelte meine Begleiterin, »wie viele Jahre sind’s seit der Revolution?«
Außer dem Kakadu war im Museum nicht sehr viel Passendes für unseren Dompteurakt zu holen.
Unsere letzte Zuflucht war der Zirkus, der in Moskau in einem festen Haus stationiert ist. Er besitzt nur eine Manege und spielt das ganze Jahr hindurch. Wir bekamen einige dressierte Pferde vorgeführt (nicht sehr geeignet für Parkettböden), einige dressierte Hunde (für unsere Zwecke nicht originell genug) und einige dressierte Bären (die wir für eine Weihnachtsfeier etwas lethargisch fanden, - außerdem konnte es politisch unangenehm ausgeschlachtet werden, wenn wir Sankt Nikolaus durch einen Bären ersetzten, der aufrecht auf den Hinterbeinen gehen konnte). Doch dann sahen wir die Seelöwen. Drei Stück — Mischa, Schura und Ljuba. Sie konnten alle die üblichen Seelöwentricks: Bälle auf der Nase tanzen lassen, Leitern hochklettern, während sie gleichzeitig kleine Clownsmützen balancierten und Mundharmonika spielten (nur daß sie statt »The Stars and Stripes Forever« die »Internationale« bliesen).
Gleich nach der Vorführung suchten wir den Dresseur auf, einen jungen Mann aus der Familie Durow, doch, wie wir dem Gespräch entnahmen, kein direkter Nachkomme der großen Durows. Er war erst Anfang Zwanzig und noch ohne viele Hemmungen.
Zuerst wand er sich etwas.
»Meine Seelöwen sind noch nie im Ballsaal gewesen.«
Ich erklärte ihm, unseres Wissens habe auch der Ballsaal noch nie Seelöwen bei sich gesehen; doch gehöre es sich für einen jungen Sowjetbürger nicht, so unsinnig zu argumentieren. Alles müsse irgendwann zum erstenmal versucht werden — und diesmal würde es sogar ein doppelter Erstversuch sein. Unsere Logik beeindruckte ihn.
»Wenn wir zwei oder drei Proben in der Botschaft haben könnten, würden sie sich vielleicht daran gewöhnen.«
Sie gewöhnten sich. Spät am nächsten Abend, nach der letzten Zirkusvorstellung, erschienen Durow und seine Robben in einem Lastwagen zur ersten Kostümprobe. Wir bauten einen schmalen Laufgang nach Art einer Schaftrift von der Seitentür bis zu einem unbenutzten Raum, den wir zur Seelöwen-Garderobe bestimmt hatten. Von dort aus arrangierten wir einen weiteren Laufgang bis in den Ballsaal.
Es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Anblick, drei große schwarze Seelöwen in einen Ballsaal watscheln zu sehen — besonders in den Ballsaal des Spaso-Hauses mit seinen weißen, polierten Marmorsäulen und ebensolchen weißen Wänden, die im vollen Licht der Kronleuchter wie Eisberge glitzerten. Ganz augenscheinlich hielten selbst die Seelöwen sie für Eisberge; denn sie schlitterten über das Parkett schnurstracks auf die nächste Säule zu, hockten sich nieder und taten, als seien sie wie in ihrer Heimat gerade von ihren Schlafstätten gekommen, um draußen ihre Morgentoilette zu erledigen. Hinterher waren mehrere Hausmädchen zum Aufwischen erforderlich, während Durow seinen Schülern zu erklären versuchte, daß sie in der amerikanischen Botschaft stubenrein sein müßten. Nach dieser ersten Übung wandten sich die Seelöwen dem Spezialprogramm zu, das wir für sie ausgearbeitet hatten. In den frühen Morgenstunden schließlich watschelten sie in den Lastwagen zurück, fuhren heim zum Zirkus und gingen zu Bett.
Noch in zwei weiteren Nächten kurz vor dem Weihnachtsabend probten sie ihre Nummer im Ballsaal. Hinterher waren sie selber, ihr Trainer und ich jedesmal völlig außer Puste. Durow jedoch hatte die Idee inzwischen fasziniert, ja, er wünschte dringend, noch einen Bären in das Programm aufzunehmen. Er erklärte, er habe zwei Bären: Einer gehöre ihm schon seit Jahren, der andere sei soeben in Sibirien gekauft worden. Dieser zweite — das gab er offen zu — sei freilich noch ein bißchen wild und habe in letzter Zeit die häßliche Angewohnheit entwickelt, Leute umzubringen. Er versprach, nur den netten Bären auftreten zu lassen. Da ich aberfand, daß drei Seelöwen für ein Fest ausreichten, schlug ich ihm vor, den netten Bären ein andermal vorzuführen. Am Abend des Festes trafen Durow und seine Seelöwen durch die Seitentür ein. Die Robben wurden unbemerkt in ihre Garderobe geschleust, wo sie ihren Auftritt abwarten sollten. Durow jedoch, der nächtelang keinen Schlaf gehabt hatte und nun vor Aufregung über sein erstes Erscheinen in der Botschaft (es sollte auch sein letztes sein) fast fieberte, brauchte ein bißchen Aufmöbelung. Ich nahm ihn also mit und stellte ihn den Gästen als frisch eingetroffenen amerikanischen Ingenieur vor. (Daß er kein Wort Englisch sprach, beschwor zwar einige Konfusion herauf; doch nimmt man dergleichen Kleinigkeiten an einem Heiligabend in Moskau nicht tragisch.) Ich versorgte ihn mit der nötigen Menge Whisky, und zur Zeit seines Auftrittes schien er wirklich wieder er selbst zu sein.
Wir versammelten die Gäste an einem Ende des riesigen Ballsaales und löschten das Licht. Dann schwankte durch die kleine Tür am anderen Ende des Raumes — allem Anscheine nach nur von einem enormen schwarzen Schnurrbart getragen — unsicher ein winziger Weihnachtsbaum mit zwölf brennenden Kerzen herein. Der Strahl eines aufflammenden Scheinwerfers enthüllte unter dem schwarzen Schnurrbart Ljuba, das Bäumchen auf der Nase balancierend. Hinter ihr stolzierten Mischa und Schura, ersterer ein Tablett mit Weingläsern, letztere eine Flasche Champagner auf der Nase. Durow füllte ein, zwei Gläser und verteilte sie an die Gäste. Dann hob er die Flasche an den Mund und leerte sie bis auf den Grund. Das war nun zwar nicht mitgeprobt worden; doch dachte ich mir, er sei immer noch schön müde und brauche eine kleine Stärkung.
Die Seelöwen erledigten ihr übliches Pensum: balancierten Bälle, kletterten Leitern hinauf und spielten sogar ein Weihnachtslied auf der Mundharmonika.
Die Vorführung war fast zu Ende, als ich eine leichte Unsicherheit in Durows Haltung bemerkte. Und dann wandte er sich, gleich nach Erledigung der letzten Nummer, zum Publikum, machte eine hübsche Verbeugung, setzte sich auf eine Bank und sackte friedlich in sich zusammen. Ljuba, Mischa und Schura warteten einen Augenblick auf das nächste Zeichen, hoppelten zu ihrem Herrn und Meister hinüber, warfen einen langen prüfenden Blick auf ihn und ergriffen entsetzt die Flucht.
Die Geschehnisse der nächsten fünfzehn Minuten werden in verschiedenen Versionen erzählt. Ich selber kann nur das berichten, was ich gesehen habe. Mischa verschwand im Publikum. Ljuba schoß in Richtung Küche davon, angezogen von den Düften eines köstlichen Mahles. Ich raste hinter Schura her (sie war die einzige, die nicht biß) und brachte es fertig, sie innerhalb weniger Augenblicke in den Laufgang und von dort in die Garderobe zu bugsieren. Als ich sie einschloß, hörte ich eine harmonische Mischung von Seelöwengebell, gellenden Frauenschreien und deutschem Fluchen aus der Küche herauftönen. Ich kam noch rechtzeitig an, um die Küchenmädchen nach allen Richtungen auseinanderstieben und den frisch eingetroffenen österreichischen Küchenchef auf dem Anrichtetisch auf und nieder hüpfen zu sehen, während Ljuba, heiser brüllend wie eine wütende Kuh, um den Tisch galoppierte und dabei Kohlenkästen, Abfalleimer und alles, was sonst noch in den Bereich ihrer großen Schaufelflossen geriet, über den Haufen warf. Der Küchenchef versuchte derweilen höchst erfolglos, Ljuba mit einer immensen Bratpfanne auf die Nase zu schlagen. Was er dadurch eigentlich zu erreichen hoffte, kann ich mir nicht vorstellen. Ljuba freilich schien es zu amüsieren, denn jedesmal, wenn er einen Schlag gegen sie führte, duckte sie sich elegant zur Seite und heulte entzückt auf. Als der Chef mich sah, schrie er:
»Um Gottes willen, so tun Sie doch irgend etwas! Tun Sie was! Von Lachen und Maulaffen-Feilhalten wird nichts besser! «
Während der Koch schrie, brüllte Ljuba, und die Küchenmädchen kreischten.
Schließlich erregte der Tumult die Aufmerksamkeit von Durows Assistenten, der sich im Dienerzimmer mit den Stubenmädchen angenehm die Zeit vertrieben hatte. Er riß augenblicklich die Zügel an sich. Mit einigen Sätzen spritzte er die Treppe hinauf, holte sich aus dem Lastwagen einen Topf mit weithin stinkenden toten Fischen, zerrte den schwankenden Durow aus dem Ballsaal und machte sich unverzüglich daran, seine Truppen auf Vordermann zu bringen. Die Formation, die er bildete, war beinahe so grotesk wie die Situation. Ich mußte Durow mit festem Griff unter die Achsel vor mich hin halten, während der Assistent von hinten her um uns beide herumreichte, den Fischtopf lockend vor Ljuba schüttelte und dabei Geräusche ausstieß, die vermutlich eine Imitation der Stimme ihres verdämmernden Herrn sein sollten.
Eine Nase voll Fisch war genug für Ljuba. Sie stoppte ihren wilden Tanz um den Küchentisch und schlitterte eiligst quer durch den Raum zu uns herüber, während wir uns langsam auf die zu ihrer Garderobe führende Treppe zurückzogen. Knapp vor dem ersten Treppenabsatz argwöhnte sie plötzlich, daß wir sie »an der Nase herumführten«, und hielt an. Nun ist es aber für einen Seelöwen gar nicht einfach, auf einer Steintreppe zu verweilen. Sobald sie mit Klettern aufhörte, verlor sie den Halt und rutschte wieder bis unten zurück. Wir folgten sofort nach. Ich schüttelte Durow, um ihn vielleicht wachzurütteln. Der Assistent schüttelte den Fischtopf und machte komische Geräusche. Ljuba besann sich, entschied, daß wir doch vertrauenswürdig seien, und kraxelte erneut hinter uns her. Aber wieder pausierte sie, rutschte hinunter und endete am Fuß der Treppe.
Während dieser Vorgänge hatten sich unten die Küchenmädchen, der Gärtner, der Pförtner und die Chauffeure versammelt. Sie feuerten uns mit Bravorufen und guten Ratschlägen an. Jedesmal, wenn Ljuba auf sie zugerutscht kam, spritzten sie aufgeregt auseinander.
»Holt ein paar Besen«, keuchte ich, »und wenn sie nächstesmal zu schlittern anfängt, schiebt ein paar Besen unter sie und haltet sie auf. Was sie braucht, ist ein bißchen Unterstützung.«
Die Besen waren im Handumdrehen zur Stelle, und drei, vier mutige Seelen folgten Ljuba zaghaft, als sie erneut begann, mühsam hinter dem kraftlosen Körper ihres Meisters und — für sie zweifellos wesentlich reizvoller — dem Topf mit scheußlich stinkendem Fisch her die Stufen hochzuklimmen. Als sie wieder pausierte, hielten die Besen sie auf der Stelle, bis sie zu ein paar weiteren Stufen verführt werden konnte.
Endlich erreichten wir das obere Stockwerk, und wenige Augenblicke später schon leistete sie Schura in der Garderobe Gesellschaft. Wir umzingelten Mischa, der inzwischen den Gästen eine Reihe ungeprobter Nummern vorgeführt hatte. Und schließlich konnte der Lastwagen an der Seitentür Vorfahren, die Seelöwen wurden sorgfältig durch die Laufgänge hineingetrieben, und ab ging’s zum Zirkus. Später erfuhr ich, daß auch die Fahrt nicht ganz ohne spannende Erlebnisse war. Mitten auf einem besonders belebten Boulevard war Ljuba — immer noch erregt durch ihr Küchenabenteuer — über die Seitenwand des Lastwagens gesprungen, wie sie zuvor mit einem Satz über die Einfassung des Laufganges gehüpft war. Moskaus Straßen sind im Winter gewöhnlich eishart gefroren und glatt wie die beste Schlittschuhbahn. Ljuba war in ihrem Element. Im Sechzigkilometertempo schlitterte sie den Boulevard hinunter, der Assistent mit dem Mute der Verzweiflung hinterher. Die Einzelheiten der nun folgenden Jagd sind nie bekanntgeworden; doch weiß ich, daß fast die gesamte Polizei des Arbat-Bezirkes aufgeboten werden mußte, um Ljuba endlich knapp vor dem Ufer der Moskwa zu umzingeln.
Durow war als der einzige vom Zirkus in der Botschaft zurückgeblieben. Sein Assistent hatte versprochen, ihn abzuholen, sobald die Seelöwen zu Bett gebracht waren. Als er nach Ljubas zweitem Sprung in die Freiheit erschöpft ankam, war Durow wieder auf den Beinen — noch nicht ganz nüchtern, aber doch beinahe sein altes munteres Selbst. Es bedurfte einiger Redekunst, ihn davon zu überzeugen, daß sein Anteil am Fest vorüber und es langsam Zeit sei, nach Hause zu gehen. Erst nachdem ich ihm versprach, ihn mit meinem neuen Mehrzweck-Ford wegzubringen, willigte er ein.
Es war schon nach drei, als wir am Zirkus vorfuhren. Der Assistent und ich reichten Durow den Arm und halfen ihm ins Haus. Der Weg zum großen Tierstall, in dem die meisten Tiere untergebracht waren, führte quer durch die Manege. Mittendrin sahen wir eine mysteriöse Gestalt drohend aus dem Dunkel auftauchen. Es war der in einen unförmigen, zotteligen Schaffellmantel gemummte Nachtwächter. Sein Gewehr baumelte ihm über die Schulter, der Lauf ragte wie ein deplaciertes Horn von hinten über seinen Kopf. »Psst-psst!« wisperte er aus den Pelzmassen heraus. »Geht leise, der Elefant schläft.«
Ich ließ Durow fast ins Sägemehl fallen. War denn ganz Moskau verrückt geworden? Fragend sah ich den Assistenten an, der meine Gefühle offenbar gleich verstand.
»Alles in Ordnung«, flüsterte er zurück, »der Mann meint nur, daß der Elefant liegt. Für gewöhnlich legen sich Elefanten zum Schlafen nicht hin. Das ist ein ganz seltener Anblick.«
Auf den Zehenspitzen schlichen wir durch die Manege. Weshalb, weiß ich auch nicht; aber in jener Nacht war eben alles etwas konfus. Selbst mit nägelbeschlagenen Stiefeln hätten wir im Sägemehl nicht soviel Krach machen können, daß auch nur eine Maus davongelaufen wäre.
Im Stall knipsten wir nur eine einzige kleine Birne an. Und tatsächlich lag der Elefant vor uns auf dem Stroh, bequem ausgestreckt und friedlich schlafend. Das einzige vernünftige Wesen, das mir den Abend über begegnet war, dachte ich.
Während wir ihn noch bewunderten, ertönte am anderen Ende des Raumes Kettenrasseln. In der Dunkelheit konnte ich nicht sehen, wer den Krach machte. Durow jedoch schien es zu wissen.
»Duschka, mein Seelchen«, gellte er, riß sich von seinem Assistenten los und stürzte in die Düsternis. Wir hinterher. Als wir am jenseitigen Ende ankamen, konnte ich im Dämmer eben noch die Umrisse eines gewaltigen braunen Bären erkennen, der auf den Hinterbeinen stand und an den Ketten zerrte, mit denen er an die Wand gefesselt war. Dabei fuhr er ungeduldig mit den großen Tatzen durch die Luft. »Duschka, mein kleiner Liebling«, brüllte Durow noch einmal und streckte seine Arme aus, um den Bären an sich zu drücken.
Er hatte die Hände schon fast um den zottigen Tiernacken geschlungen, als sein Assistent ihn am Kragen zurückriß. »Verdammter Narr«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »es ist der falsche Bär!«